Durch die Regeln des Arzneimittelmarktes verschlimmern neu entwickelte antibiotische Wirkstoffe Resistenzen eher, als diese zu bekämpfen. Michael Müller, Professor für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, erklärt: Lösen wir das Dilemma, hätten wir ein Modell, wie eine nachhaltige Transformation gelingen könnte.
Der Umgang mit Pharmazeutika ist in weiten Teilen nicht nachhaltig. Antibiotika verdeutlichen, welche Bedingungen dazu beitragen. Der Begriff „Antibiotika“ bedeutet „gegen das Leben“ – doch das kann nur im engeren Sinn gemeint sein. Antibiotika sollen krankmachende bakterielle Zellen töten. Dies geschieht, wenn am Ort der Infektion relativ hohe Konzentrationen des Antibiotikums vorhanden sind. In niedrigeren Konzentrationen verursachen Antibiotika jedoch Antibiotika-Resistenzen.
Der Werkzeugkasten der Bakterien gegen Antibiotika ist bislang nur ansatzweise verstanden. Weil resistente Bakterien schwerwiegende und tödlich verlaufende Infektionskrankheiten verursachen, hegen viele Stimmen im Gesundheitswesen die Hoffnung auf neue Wirkstoffe. Doch Antibiotika ohne Resistenzen zu entwickeln, ist auf lange Sicht eine Mär.
Pharma-Industrie braucht neues Geschäftsmodell
Jedes neue Antibiotikum birgt die Gefahr, dass Erreger neue Resistenzmechanismen ausbilden, schlimmstenfalls Resistenzen gegen viele Antibiotika-Klassen gleichzeitig. Mit jedem neuen Wirkstoff wird demnach der Pool an Möglichkeiten kleiner, multiresistente Keime zu bekämpfen. Eine Ursache dafür ist, dass Antibiotika unangebracht und übermäßig verordnet werden.
Eine zweite Ursache ist die ökonomische Grundlage: Unsere Marktwirtschaft ist auf Wachstum ausgelegt. Geld wird dort investiert, wo kurzfristige und hohe Renditen locken. Dies kann mit Antibiotika nicht erzielt werden. Werden sie als Massenware eingesetzt, verlieren sie ihre Wirksamkeit. Die Resistenzfalle schnappt zu. Setzen Mediziner:innen neue Antibiotika nur als Notfallmedikation ein, werden Hersteller nicht angemessen entlohnt.
Neue Geschäftsmodelle sind seit Langem in der Diskussion, konnten sich bislang aber nicht durchsetzen. Immer mehr Antibiotika-entwickelnde Firmen melden Insolvenz an. Größere Pharmaunternehmen bildeten Allianzen und versprechen – teilweise querfinanziert durch Steuermittel – Resistenzen den Kampf anzusagen. Bisher haben auch sie nicht überzeugen können. Vielleicht sind Antibiotika eine „Spielwiese“ für eine Transformation zu neuen Geschäftsmodellen. Dieser Weg scheint für unsere Gesellschaft unausweichlich, auch in ökologischer Hinsicht.
Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen
Einige Firmen und Ökonomen propagieren eine „grüne Transformation“ im bestehenden Geschäftsmodell als Lösung. Eine Transformation kann aber nur ganzheitlich erfolgen. Wer eine Transformation in „grün“ oder „digital“ aufteilt, will das bestehende Geschäftsmodell weiter ausnutzen. Nachhaltigkeit, die sich rein an den Ressourcen orientiert, ist zu kurz gegriffen. Ökologische und ökonomische Aspekte sind untrennbar mit sozialen Gegebenheiten verknüpft. Beachtet man diese Aspekte nicht, bleibt Nachhaltigkeit eine Illusion und führt zu Greenwashing, also leerem verkaufssteigerndem Marketing. Für Antibiotika mündet dies im Gegenteil von Nachhaltigkeit.
Auf sozialer Ebene trägt bei Antibiotika eine falsche Erwartungshaltung zum Problem bei. Patient:innen glauben oft, dass ihre Infektion durch Antibiotika behandelt werden kann, auch wenn es sich um eine Erkältung oder eine andere virale Infektion handelt. Dies führt nicht selten dazu, dass Ärzt:innen bei ihren Patient:innen annehmen, dass diese ein Antibiokium wünschen. Auch die kulturelle Sicht auf Antibiotika hat sich verändert, seit der Begriff „Mikrobiom“ eingeführt wurde. Er drückt aus, dass Antibiotika sich gegen einen wichtigen Teil eines jeden Menschen wenden. Dies etablierte eine kritischere Sichtweise. Das veränderte wording (zuvor Darmflora) steht dem „war-against-bacteria“ entgegen. Zugleich ist Vorsicht geboten: Antibiotika zu verteufeln birgt Risiken.
Erste Ansätze gibt es schon
Grüne Pharmazie ist nicht das Gleiche wie nachhaltige Pharmazie. Selbst wenn Entwicklung, Produktion und Abgabe von Antibiotika absolut „grün“ sind, löst das nicht das Problem der Resistenzentwicklungen.
Anders sieht es aus, wenn Forscher vollständig bioabbaubare Antibiotika entwickeln. Denn viele Wirkstoffe landen nach der Therapie in der Umwelt. Dort können sie Resistenzen fördern. Das Antibiotikum Ciprofloxacin gilt als besonders schwer abbaubar. Das Team um Professor Dr. Klaus Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg entwickelte eine Variante des Moleküls, das sich in der Umwelt zu Kohlendioxid und Wasser abbaut. Das Konzept Kümmerers vermeidet, dass Arzneistoffe in der Umwelt zurückbleiben. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um Resistenzen lokal und zeitlich zu begrenzen (siehe S. 36). Es befreit uns aber nicht davon, die Herstellung und Abgabe von Antibiotika nachhaltig zu gestalten.
Auch Infektionskrankheiten vorzubeugen ist wichtig, zum Beispiel durch Hygienemaßnahmen und Pandemiepläne. Sie werden aber nach wie vor vernachlässigt: „There is no glory in prevention.“ Für eine grundlegende Transformation wird es hilfreich sein, Aspekte der „Nachhaltigen Pharmazie“ in die Studien- und Ausbildungsgänge zu implementieren. Nach wie vor ist Bildung eine der wichtigsten und rentabelsten Zukunftsinvestitionen.