Ist Fachkräftemangel eine Chance für Pharmaziestudierende?

Ein Schlagwort, das seit einigen Jahren immer wieder durch die Medien geistert und von dem Du als Pharmaziestudent:in bestimmt schon einmal im Zusammenhang mit Deutschlands Apotheken gehört hast, ist der Fachkräftemangel. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales listet in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit jedes Jahr die sogenannten Mangelberufe auf. Die Apothekenberufe sind ebenfalls dabei. Doch was bedeutet das für Dich, als angehende/r Apotheker:in?

Vielleicht fragst Du Dich jetzt: Was genau zeichnet eigentlich einen Mangelberuf aus? Laut Definition handelt es sich bei einem Mangelberuf, auch Engpassberuf genannt, um einen Beruf, in dem der Bedarf an Arbeitskräften das Angebot übersteigt. Einfach gesagt: Es sind nicht ausreichend Arbeitskräfte vorhanden und so bleiben offene Stellen teilweise dauerhaft unbesetzt. Die Suche nach passenden Kandidaten für ihre vakanten Stellen stellt sich für Arbeitgeber in den betroffenen Sparten oft als sehr schwierig und langwierig dar. Welche Berufe genau betroffen sind, wird durch spezielle Analysen ermittelt, bei denen bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen.

Interessant zu wissen: Mangelberufe werden durch die Engpassanalyse ermittelt:
Ein Beruf gilt als Mangelberuf, wenn der Wert der sogenannten Vakanzzeit (durchschnittlicher Zeitraum, in welchem offene Stellen nicht besetzt sind) 40% über dem Durschnitt liegt. Dazu muss die Zahl der Relation von Arbeitssuchenden zu offenen Stellen kleiner als vier sein und das Verhältnis von Arbeitssuchenden zu Berufstätigen im jeweiligen Beruf kleiner als 3% [12].

Fachkräftemangel in den Apotheken?

Auch die Apothekenberufe Apotheker:in, PTA und PKA hat die Agentur für Arbeit bereits 2016, neben weiteren Berufen im Gesundheits- und dem sogenannten MINT-Bereich, als Mangelberuf gelistet. Seitdem sind die Apothekenberufe regelmäßig auf dieser Liste zu finden. Mitunter auch ein Grund, warum manche Apotheke schließen muss: Es kann einfach kein Personal gefunden werden. Müssen weiterhin Apotheken schließen, weil keine Mitarbeiter:innen oder keine Nachfolger:innen für eine Apothekenübernahme gefunden werden können und sinkt die Apothekendichte somit stetig, kann im schlimmsten Fall das flächendeckende Arzneimittelversorgungssystem nicht mehr ordnungsgemäß aufrechterhalten werden. Obwohl laut ABDA die Zahl der Apotheken in den letzten Jahren stetig sank (sie lag Ende 2021 bei 18 461 Apotheken und damit 292 weniger als Ende 2020 [1]) herrscht eine stetige Suche nach Qualifizierten für die Offizin. Nachfolger für Apothekenübernahmen sind ebenfalls stark gefragt.

Wie kommt es zu den Engpässen?

Laut dem Statistischen Jahrbuch der ABDA „Die Apotheke“ 2021 gab es Ende 2020 ca. 68 000 berufstätige Apotheker, mit steigender Tendenz [2]. Davon gehen allerdings viele für die öffentliche Apotheke „verloren“, da sie in anderen Bereichen, wie der pharmazeutischen Industrie beschäftigt sind. Hinzu kommt eine höhere Nachfrage an Mitarbeitern in den einzelnen Apotheken als früher, bedingt durch die steigende Bürokratie und Komplexität der Aufgaben sowie den gestiegenen Beratungsbedarf. Die in der Pandemie neu hinzugekommenen Aufgaben verschärfen die Situation vielerorts zusätzlich. Und obwohl die Zahl der Studienplätze für den Studiengang Pharmazie über die Jahre hinweg auf konstantem Niveau geblieben ist und die Anzahl der Bewerber dafür auf hohem Niveau ist, geht das Interesse vieler Berufsanfänger oftmals eher in die Richtung anderer Arbeitsplätze, die pharmazeutische Ausbildungen erfordern, wie Krankenhausapotheken oder die Industrie. Vergessen werden darf ebenfalls nicht, dass sich eine Großzahl an Apothekern vor dem Eintritt in die Rente befinden. In den nächsten Jahren wird auch ihr Ausscheiden auf dem Arbeitsmarkt spürbar sein. Die ABDA prognostiziert in einer ihrer Analysen, dass es dadurch bis zum Jahr 2029 10 000 offene Stellen geben wird [3].

Gute Nachrichten für Studierende?

Für angehende Apotheker:innen sind das jedoch keine schlechten Nachrichten. Im Gegenteil, was des einen Leid ist, ist oftmals des anderen Freud´. Für Apothekeninhaber:innen ist die Personalsuche schwieriger geworden als früher. Ein richtiges „Auswahlgespräch“ unter zahlreichen Bewerbern gibt es für viele Stellen aus Mangel an Bewerbungen nicht mehr. Sechs, sieben Bewerber auf eine freie Stelle, das ist vergangene Utopie, aus Sicht der Inhaber:innen. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat nämlich in den letzten Jahren gewechselt: Von einem sogenannten „Arbeitgebermarkt“ zu einem sogenannten „Arbeitnehmermarkt“. Wo früher zahlreiche Bewerber auf eine Stelle gekommen sind, müssen heute Unternehmer – und so auch Apothekeninhaber – teils aktiv um Personal werben, um Stellen überhaupt besetzen zu können. Diese aktiven Bemühungen um Personal haben für arbeitssuchende Apotheker:innen oder frisch Approbierte natürlich Vorteile. Es ist nicht nötig in der „nächstbesten“ Apotheke anzufangen. Apotheken, die einen schlechten Ruf haben, können getrost links liegen gelassen werden.

Bewerber:innen haben heutzutage die Möglichkeit mit Bedacht auszuwählen und sich sehr genau anzuschauen, für wen sie arbeiten möchten und in welchem Umfeld. Die große Auswahl an Stellen macht´s möglich. Ein Umzug in eine neue Stadt oder für die nächsten Jahre Landluft schnuppern, beides kein Problem, da der Mangel an Apothekenmitarbeitern ein strukturelles Problem zu sein scheint, das in den meisten Teilen Deutschlands besteht. Das belegen Zahlen aus einer Apotheken Umfrage von Aposcope vom Januar 2022 zu geschäftshemmenden Faktoren. Dabei gaben 47,5% der Befragten den Mangel an pharmazeutischen Arbeitskräften und 10% den Mangel an nicht-pharmazeutischen Arbeitskräften als geschäftshemmenden Faktor an [4]. So scheint es, dass fast jede zweite Apotheke vom Fachkräftemangel betroffen ist. Apotheken müssen sich mittlerweile von der Konkurrenz abheben und aus der Masse herausstechen. Spaß bei der Arbeit und im Team, eine offene Kritikkultur, Weiterentwicklungsmöglichkeiten und gute Bezahlung samt eines freundschaftlichen und angenehmen Betriebsklimas ist, was viele Angestellten und Berufsanfänger in der heutigen Zeit suchen. Stimmt dazu noch die Work-Life-Balance, spricht einiges für die Stelle bei einer bestimmten Apotheke. Was für die Arbeitgeber durchaus Stress bedeuten kann, ist für die Bewerber:innen jedoch ein enormer Vorteil. Eigentlich ein guter Grund ein Pharmaziestudium oder eine Ausbildung für einen anderen Apothekenberuf einzuschlagen, denn arbeitslos ist man vermutlich nie sehr lange. Weniger moderne Apotheken, die langfristig keine neuen Wege beschreiten und nicht allzu großen Wert darauf legen ihre pharmazeutischen Dienstleistungen für den Nachwuchs attraktiv zu gestalten, werden langfristig das Nachsehen haben und bei den jüngeren Berufsanfängern auf weniger Anklang und Zulauf treffen.

Viele Wege stehen offen

Wählt man ein Studium der Pharmazie erschließen sich einem somit nach dem Abschluss sehr viele Wege. Es gibt vielfältige Bereiche, in denen ein Approbierter arbeiten kann. Neben der Pharmaindustrie mit zahlreichen Betätigungsfeldern, dem Arbeiten bei einer Behörde oder der Bundeswehr kann man auch als Lehrkraft an einer PTA Schule tätig werden, um hier nur einige Möglichkeiten zu nennen. Und natürlich: Die öffentliche Apotheke. Für viele Apotheker:innen und auch so manchen Jungapprobierten gehört heutzutage schon eine gesunde Portion Idealismus dazu, in einer öffentlichen Apotheke arbeiten oder eine solche gar übernehmen oder leiten zu wollen. Die Verantwortung eine oder mehrere Apotheken zu besitzen und die zwangsläufig dazugehörige Selbständigkeit kann abschreckend wirken. So Mancher hegt zudem Zweifel an der Zukunft der öffentlichen Apotheke. Aber es lohnt sich in der momentanen Situation noch einmal genau darüber nachzudenken, wohin einen die persönliche Karriere führen könnte und wo man welchen Vorteilen begegnet. Denn für Studienabgänger bietet der Fachkräftemangel in der Offizin im Grunde maximale Flexibilität in ihrem Arbeitsleben. Neben der, überspitzt gesagt, freien Arbeitsplatzwahl innerhalb Deutschlands Offizinen und einem daraus resultierenden unkomplizierten und schnellen Wechsel, sollte ein solcher einmal gewünscht sein, besteht die Chance die Arbeit recht einfach mit dem Privatleben und der Familie vereinbaren zu können, beispielweise durch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit in den meisten Apotheken. Wer zur Flexibilität auch noch Sicherheit haben möchte, ist dann genau richtig. Lange Arbeitslosigkeiten bei Apothekern sind eher die Ausnahme.

Expertenmangel früher und heute
Von Land zu Land können sich Engpässe an Arbeitskräften unterscheiden. Geben tut es sie jedoch seit jeher – allerdings wandeln sich die betroffenen Sparten im Laufe der Zeit. In den 50er und 60er Jahren war man in Deutschland auf der Suche nach Arbeitnehmern, die schwere körperliche Arbeit verrichten konnten. Heute sind mehr Berufe betroffen, für die spezielle Eigenschaften oder teils lange Ausbildungen und Studiengänge Voraussetzung sind. Aber auch schlecht- und unterbezahlte Tätigkeiten, wie Alten- und Krankenpfleger. Die Gründe, warum in vielen Branchen keine passenden Arbeitnehmer gefunden werden, sind vielschichtig. Die Corona Krise verschärfte die Lage, aber bereits vor der Pandemie gab es einen Fachkräftemangel. Der demographische Wandel trägt dazu bei und die Digitalisierung. Veraltete Besetzungsverfahren und zeitraubende Recruiting Prozesse bremsen die Suche nach passenden Kandidaten ein. Auch schlechte Bezahlung, unattraktive Arbeitszeiten oder eine schlechte Vereinbarkeit von Arbeit und Familie tun ihr übriges. Auch regionale Besonderheiten kommen zum Tragen. Vor allem ländliche Regionen sind gerade für junge Arbeitnehmer nicht attraktiv. Die Folgen des Fachkräftemangels für die gesamte Gesellschaft sind enorm. Sie reichen von steigender Arbeitsbelastung für die Belegschaften über abgelehnte Aufträge und reduzierte Angebote bis hin zu Standortschließungen. Dienstleistungsangebote werden knapper. Die Wettbewerbsfähigkeit leidet und das gesamte wirtschaftliche Wachstum wird abgebremst.

Literatur

[1]          ABDA. Stand 02.02.2022, www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen/detail/apothekenzahl-in-deutschland-auf-tiefstand/

[2]          ABDA Bundesvereinigung. Die Apotheke zahlen Daten Fakten 2021. Abgerufen am 20.05.2022, www.abda.de/aktuelles-und-presse/publikationen/detail/die-apotheke-zahlen-daten-fakten-2021/

[3]          ABDA. Overviewing: „Berufsaussichten für Apotheker*innen bleiben hervorragend“. Stand 08.06.2021, abgerufen am 20.05.2022, www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen/detail/overwiening-berufsaussichten-fuer-apothekerinnen-bleiben-hervorragend/

[4]          Statista 2022. Abgerufen am 25.05.2022, www..statista.com/statistik/daten/studie/1287215/umfrage/apothekenumfrage-zu-geschaeftshemmenden-faktoren/#statisticContainer

[5]          ADEXA, BCpta e. V. Gemeinsames Positionspapier zur Neuordnung des PTA-Berufsbildes.  www.adexa-online.de/aktuelles/themen/pta-ausbildungsnovellierung/news/bundesprogramm-ausbildungsplaetze-sichern-unterstuetzung-waehrend-corona-pandemie/, Stand Juli 2018

[6]          Deutscher Industrie- und Handelskammertag. Fachkräftemangel- mit gravierenden Folgen. www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/beschaeftigung/fachkraeftereport-2021/fachkraeftemangel-mit-gravierenden-folgen–61818

[7]          Pharmazeutusche Zeitung. LAK startet Nachwuchsoffensive. www.pharmazeutische-zeitung.de/lak-startet-nachwuchsoffensive-128465/, Stand 07.10.2021, AVOXA Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH

[8]          Rohrer B. Was tut die ABDA gegen den Apothekermangel? https://newsletter.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/07/31/apotheker-in-offiziell-als-mangelberuf-eingestuft, Deutsche Apotheker Zeitung, Stand 01.02.2018

[9]          Overwiening: “ Berufsaussichten für Apotheker*innen bleiben hervorragend“. https://www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen/detail/overwiening-berufsaussichten-fuer-apothekerinnen-bleiben-hervorragend/, Stand 08.06.2021

[11]       Schulgeldfreiheit für Gesundheitsfachberufe. www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/06/17/quo-vadis-apotheken-nachwuchs, Beschlüsse des GMK 05.06.2019- 06.06.2019

[12]       Obermeier T. Fachkräftemangel. www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/178757/fachkraeftemangel/.de, Stand 31.01.2014

Michaela Theresia Schwarz

ist Apothekerin, PTA und Fachjournalistin. Nach ihrem Pharmaziestudium an der Universität Regensburg war sie in Apotheken im In- und Ausland sowie im fachredaktionellen Bereich tätig.