Wie wird sich die Apotheke im Laufe unseres Berufslebens verändern? Die einen Apotheker:innen fordern, mehr pharmazeutische Arbeit in der Offizin leisten zu können. Andere sagen, dass als Grundvoraussetzung dafür die Wirtschaftlichkeit stimmen muss. Zwei politisch aktive Pharmaziestudierende diskutieren ihre Standpunkte in der UniDAZ.
Ilias: Das Pharmaziestudium gehört zu den zeitintensivsten Studiengängen, die es gibt. Wir eignen uns umfangreiche naturwissenschaftliche Kenntnisse an, bevor wir uns im Hauptstudium den pharmazeutischen Kernfächern widmen. Abschließend werden wir ein Jahr praktisch ausgebildet. Nach dem bestandenen dritten Ausbildungsteil dürfen wir uns „Apotheker“ oder „Apothekerin“ nennen und sind Arzneimittelexperten. Die Berufsperspektiven sind vielfältig, was ein Argument für Abiturienten ist, sich für dieses Studium zu entscheiden. Nach den Zahlen der ABDA arbeiteten 2019 von über 67.000 berufstätigen Apotheker:innen 52.876 in einer Offizin. 3,4 Prozent arbeiteten in Krankenhausapotheken und die übrigen 17,4 Prozent in der Industrie, der Verwaltung, in Fachorganisationen oder der Forschung.
Zuletzt wurde viel und heftig diskutiert: Die öffentliche Apotheke gerate unter Druck und sei in Gefahr. Der Antagonist der Offizinen sei häufig der ausländische Versandhandel, der durch sein Geschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Rx) Ursache allen Übels sei, das über die öffentlichen Apotheken hereinbreche. Besonders das Apothekensterben, also der Rückgang der Apothekenzahlen, hänge direkt mit dem Versand von Rx-Arzneimitteln durch ausländische Arzneimittelversender zusammen. Der einzige Ausweg aus der Situation wäre demnach, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten.
„Wir dürfen nicht nur unsere wirtschaftlichen Interessen verteidigen. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, als die Heilberufler, die wir sind, wahrgenommen zu werden und das Berufsbild dahingehend anzupassen.“
Ilias Essaida
Unter Studierenden ist das Interesse an der öffentlichen Apotheke aktuell gering. Die Ergebnisse der durch den BPhD unter Pharmaziestudierenden durchgeführte Umfrage „Beruf und Studium“, die 2021 veröffentlicht wird, zeigt, dass nur circa 30 Prozent als Berufswunsch die Tätigkeit in der Offizin angeben. Ein Grund für das mangelnde Interesse an der Offizin könnte sein, dass Möglichkeiten fehlen, die im Studium erlangten Kompetenzen anwenden zu können. Folgeverschreibungen, Präventionsmaßnahmen, Patientenschulungen zur Adhärenzförderung: All das ist möglich, aber hierzulande noch Zukunftsmusik. Unsere europäischen Nachbarn zeigen uns, dass es auch anders geht: In Großbritannien dürfen Apotheker:innen nach einer Weiterbildung innerhalb eines patientenbezogenen Medikationsplanes in Übereinkunft mit Mediziner:innen und Patienten Verschreibungen ausstellen.
Benedikt: Industrielle Revolution, Digitalisierung – früher und heute hat sich die Arbeitswelt regelmäßig verändert, Berufe sind ausgestorben oder haben sich stark gewandelt. Was wird mit dem Apothekerberuf passieren? Wird es möglich sein, auch in Zukunft eine wohnortnahe und flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Apotheken vor Ort zu erhalten? Als Pfeiler im Gesundheitswesen sind Apotheken unverzichtbar. Spätestens die Corona-Pandemie hat bewiesen: Gute Beratung und Compliance zu vermitteln, ist eine Mammutaufgabe. Und Patienten nehmen dieses Angebot vor Ort gerne wahr. Zudem zeigte sich, wie wichtig eine gute Infrastruktur und Gewerbesteuereinnahmen für Kommunen sind. Apotheken gehören zum lokalen Einzelhandel, die eine Stadt, einen Ort und kleine Dörfer beleben. Sie sind soziale Kontaktpunkte und für viele in der Krise ein Stück Lebensqualität. Es ist kaum verwunderlich, dass
78 Prozent der Bevölkerung hohes Vertrauen in die Apotheken vor Ort haben, wie eine Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Arzneimittelhersteller feststellte.
„Ein Versandverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel trägt zur sicheren Arzneimittelversorgung der Zukunft bei und schafft eine Perspektive für junge Pharmazeutinnen und Pharmazeuten.“
Benedikt Bühler
Betriebswirtschaftliche Themen spielen im Pharmaziestudium keine Rolle. Daher kann nicht unbedingt erwartet werden, dass junge Apothekerinnen und Apotheker sich niederlassen. Der Apothekerberuf muss für den Nachwuchs dringend attraktiver gestaltet werden. Die neue ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening wird dies hoffentlich in Angriff nehmen. Jedoch muss auch der Gesetzgeber, der Apotheken den öffentlichen Versorgungsauftrag erteilt hat, gewährleisten, dass die Apotheken vor Ort nicht durch Arzneimittelversender mit Sitz im Ausland ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.
Ein Versandverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel (RxVV) ist die einzige Möglichkeit, die Gleichpreisigkeit für Rx-Arzneimittel zu gewährleisten und in Zukunft eine sichere Arzneimittelversorgung zu garantieren. Diesen Konsens haben die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD erkannt und sich deswegen im Koalitionsvertrag zu diesem Vorhaben verpflichtet. Die Regierung kam dieser Verpflichtung trotz Dringlichkeitsantrag des Freistaates Bayern und einer Aufforderung des Bundesrates nicht nach. Daher reichte ich eine Petition nach Artikel 17 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag ein, die sich für ein Versandverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einsetzte. Dem Petitionsausschuss konnte ich über 420.000 Unterschriften vorlegen.
Ilias: Das sind mehr als bei jeder anderen Online-Petition zuvor – ein bemerkenswerter Erfolg. Allerdings ist in der Welt der Apotheker:innen auf großer Bühne kaum mehr geschehen, um die öffentliche Apotheke zukunftsfest zu machen. Dass Benedikts Vorhaben aussichtslos war, wurde klar, als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im September 2019 auf dem Deutschen Apothekertag deutlich machte, dass es mit ihm kein Versandverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
geben wird. Das sogenannte Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) sei das Beste, was man mit ihm umsetzen könne. Zwar machte sich auch der Bundesrat für ein RxVV stark – das Anliegen war den Landesregierungen jedoch nicht wichtig genug, um von ihrem Initiativrecht im Deutschen Bundestag Gebrauch zu machen. Die Argumentation des Gesundheitsministers ist nachvollziehbar: Ein RxVV würde sich aus europarechtlichen Gründen schwierig gestalten, denn die Bundesregierung erlaubte mit dem 2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetz explizit den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
Die Wiedereinführung eines Versandverbots mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln würde nicht als Maßnahme des Gesundheitssystems gewertet werden – was eine nationale Aufgabe ist – sondern als mengenmäßige Beschränkung der Wareneinfuhr. Für Fragen des Binnenmarktrechts ist die Europäische Union zuständig. Für einen RxVV müsste Deutschland gegenüber der EU nachweisen, dass Arzneimittelversender aus der EU eine Gefahr für das deutsche Gesundheitssystem darstellen. Dies gelang bisher nicht. Der Marktanteil ausländischer Versender am Geschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln lag 2019 in Deutschland je nach Quelle zwischen einem und zwei Prozent.
Benedikt: Ein RxVV hätte viel mehr Auswirkungen, als dass dadurch einfach keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel mehr versendet werden dürfen. Neben der Gleichpreisigkeit ist das Fremd- und Mehrbesitzverbot ein zentraler Baustein der Arzneimittelversorgung in Deutschland. So wird sichergestellt, dass die wirtschaftlichen Interessen von Apotheken nicht im Vordergrund stehen. Aber genau diese Interessen verfolgen EU-Versender wie DocMorris oder Shop Apotheke. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Versand Arzneimittelsicherheit gewährleisten kann. Auch der Europarat sieht durch die EU-Arzneimittelversender eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Es ist kaum verwunderlich, dass der Rx-Versand in nur 6 von 27 EU-Mitgliedsstaaten erlaubt ist.
Im Juli 2020 kaufte ein niederländischer Versandhändler einen deutschen Telemedizin-Anbieter und bietet seitdem ärztliche und pharmazeutische Dienstleistungen aus einer Hand an. Wenn Rezepte der Telemedizinpraxis ohne Umwege zum niederländischen Versandhandel gelangen, könnte dies dazu führen, dass möglichst viel oder bestimmte Präparate verordnet werden. Zudem drängen sich weitere beängstigende Fragen auf: Könnten die Arzneimittelversender Algorithmen nutzen, die wir zum Beispiel von Amazon kennen, um der Bevölkerung Angebote zur Erkrankung zu machen? Schon heute nutzen Versender personenbezogene Daten. Das Patientendatenschutzgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz für das Gesundheitswesen scheinen hier nur bedingt zu greifen. Ein weiteres Beispiel: Der Telemedizin-Anbieter Zava arbeitet mit dem Arzneimittelversender Shop Apotheke zusammen. Seit Ende vergangenen Jahres bietet die Plattform an, dass Nutzer verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Konsultation oder pharmazeutische Beratung einfach per Fragebogen bestellen können. Das kommt einem Kauf im Supermarkt gleich und darf nicht unser Anspruch an eine sichere Arzneimittelversorgung sein.
Zudem konnten wir am Anfang der Pandemie beobachten, was mit begehrten, aber knappen Waren ohne eine gesetzliche Regulierung des Preises passieren kann: Die Kosten von Schutzmasken stiegen zwischenzeitlich auf schwindelerregende Höhen. Könnte das Gleiche bei Lieferengpässen verschreibungspflichtiger Arzneimittel auftreten, wenn die Gleichpreisigkeit durch EU-Versender untergraben wird? Beim COVID-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer (Comirnaty®) ist genau diese Befürchtung eingetreten: Israel soll nach Angaben der Frankfurter Rundschau 40 Prozent mehr pro Impfdosis bezahlt haben als Europa und die USA. Entsprechend konnten sie wesentlich schneller bei der Impfung ihrer Bevölkerung voranschreiten. Das sollte uns für die Zukunft eine Lehre sein und die Politik motivieren, doch noch ein Rx-Versandverbot umzusetzen.
Ilias: Am 15. Dezember 2020 trat das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz ohne ein von vielen erhofftes RxVV in Kraft. Positive Punkte des VOASG, wie die Einführung pharmazeutischer Dienstleistungen, sind in den Debatten der letzten Monate meiner Meinung nach zu kurz gekommen. Wenn dennoch über pharmazeutische Dienstleistungen diskutiert wurde, ging es meist nur um die Finanzierung und nicht um die Ausgestaltung der Tätigkeiten. Aus den Entwicklungen der vergangenen Monate ergeben sich für mich zwei besonders problematische Punkte:
- Ein einflussreicher Teil der Apotheker:innen scheinen sich mehr als Kaufleute zu verstehen, für die wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, und
- diese Kaufleute scheinen die Interessen des Nachwuchses aus den Augen zu verlieren.
Pharmazeut:innen in der öffentlichen Apotheke bewegen sich ständig in einem Spannungsfeld zwischen dem Dasein als Kaufmann und dem als Heilberufler. Das Betreiben einer Apotheke obliegt Apothekerinnen und Apothekern – und keinen Ketten oder Unternehmen. Das ist gut so. Doch geraten die wirtschaftlichen Interessen der Apotheker:innen gegenüber der Bundespolitik weiterhin so massiv in den Vordergrund der Debatten, laufen wir Gefahr, den Status des Heilberufes zu verlieren. So erging es bereits unseren Kolleginnen und Kollegen in Estland. Ist die öffentliche Apotheke kein Ort der Patientenversorgung und kommen pharmazeutische Kompetenzen zu kurz, riskieren Apotheker:innen, motivierte Pharmazeutinnen und Pharmazeuten an andere spannende Tätigkeitsfelder zu verlieren. Wenn wir die öffentliche Apotheke als Ort der niederschwelligen Gesundheitsversorgung sichern wollen, ist der Nachwuchsmangel das eigentlich ausschlaggebende Problem.
Benedikt: Durch das Versandverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zusammen mit einer Novellierung der Approbationsordnung und einer besseren Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen kann die Apotheke vor Ort wieder ein attraktiver Arbeitsplatz werden. Diese politischen Maßnahmen würden mehr junge Pharmazeutinnen und Pharmazeuten motivieren, nicht nur Pharmazie zu studieren, sondern auch, sich später in einer öffentlichen Apotheke niederzulassen.
Ilias: Es gibt noch einiges zu tun, um die öffentliche Apotheke zukunftsfest zu machen. Die Novellierung der Approbationsordnung, die der BPhD unterstützt, ist dabei sicherlich ein wichtiger Punkt. Die Offizin ist ein Arbeitsplatz mit Zukunft; die Pharmazie bietet viel Potenzial. Wir Studierende müssen vehement unsere Forderungen in die öffentliche Debatte einbringen und deutlich machen, wie wir uns den Arbeitsplatz „Offizin“ vorstellen. Studentisches Engagement ist derzeit besonders wichtig. Ich kann nur jeden auffordern, sich den Fachschaften und Arbeitsgruppen des BPhD anzuschließen. Ob und wie schnell sich die Apotheke wandeln wird, hängt auch von uns ab.
UniDAZ: Was müsste sich eurer Meinung nach ändern, damit die Arbeit in der öffentlichen Apotheke attraktiver wird? Schreibt uns auf redaktion[at]unidaz.de.