Interprofessionelle Zusammenarbeit in der ambulanten Palliativversorgung
Als Apothekerin oder Apotheker bist du für gewöhnlich Teil eines Interdisziplinären Netzwerks, das die Gesundheit von Patienten managt. In der Beratung informiert ihr Pflegekräfte oder lasst euch bei speziellen Themen vielleicht auch mal von ihnen beraten. Über Ärzte erhalten Patienten Rezepte, die sie an euch weitergeben. Wenn etwas nicht stimmt, haltet ihr Rücksprache mit den Ärzten. Im Optimalfall werden Kompetenzen von Pflegekräften, Ärzten und Apothekern so aufgeteilt, dass jeder seine Stärken bestmöglich ausspielen kann. Pharmazeutinnen und Pharmazeuten können der verbindende Mörtel sein, der die einzelnen Bausteine der Gesundheitsversorgung durch ein breites Wissen und gute Kommunikation verbindet.
Meist ist diese Zusammenarbeit, besonders zwischen Arzt und Apotheker aber eher „inoffiziell“: Durch das gesetzlich verankerte Zuweisungsverbot dürfen Ärzte Apothekern keine Rezepte oder Patienten zuweisen. Jeder Patient muss Arzt und Apotheke frei wählen dürfen.
Ein offiziell gefördertes, interprofessionelles Arbeiten ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen möglich, wie z. B. im Krankenhaus oder bei der SAPV, der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Bei der SAPV soll die Lebensqualität totkranker Patienten erhalten und ermöglicht werden, dass diese Menschen trotz ihres Leidens im familiären Umfeld versterben können. Rezepte vom Arzt werden gezielt an die auf SAPV spezialisierte Apotheke zugewiesen. Die pharmazeutische Betreuung spielt sich nah an der Pflege und am Patienten ab.
“Kommunikation führt zu Gemeinschaft, das heißt zu Verständnis, Vertrautheit und gegenseitiger Wertschätzung.”
Diese Zeilen schrieb der amerikanische Psychologe Rollo Reece May im Jahre 1950 als Schlusswort seines Buchs “The Meaning of Anxiety”, worin er prägende Erfahrungen mit seiner potentiell tödlichen Tuberkuloseerkrankung verarbeitete. Mit 36 Jahren litt er schwer an der Schwindsucht, seine Überlebenswahrscheinlichkeit lag zwischenzeitlich bei weniger als 50%. Eine wirksame antibiotische Therapie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Er verbrachte fast zwei Jahre in einem Lungen-Sanatorium an der amerikanischen Ostküste – zu seinem Glück!
Rückblickend schrieb er sein Überleben dem damals sehr fortschrittlichen Behandlungsansatz dieser Einrichtung zu: Ein “Circle of Care”, ein multidimensionales Team aus professionellen Heilberuflern, Pflegekräften und Seelsorgern kümmerte sich um ihn.
Trotz Ansteckungsgefahr waren Besuche von seiner Verlobten und weiterer Verwandte ausdrücklich erwünscht: Nach dem Motto „keine Nähe tötet auch“ wurde Kontakt und Fürsorge dem Social Distancing vorgezogen. May gesundete auf Basis dieses Zusammenspiels von tiefgreifenden Gesprächen, therapeutischen Maßnahmen und einer umfassenden Pflege. Nach seiner Genesung widmete sich May der Existenziellen Psychotherapie. Er wurde ein Vordenker für die diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, wie wir sie heute in interprofessionellen Netzwerken, wie der spezialisierten, ambulanten Palliativ- Versorgung (SAPV) kennen.
Auf dem Fundament dieser ganzheitlichen Patientenbetreuung konnte die britische Pflegerin und Ärztin Cicely Saunders 1967 das erste stationäre Hospiz in London gründen. Sie entwickelte ein modernes Konzept der Palliativversorgung, was in seinen Grundzügen noch heute gültig ist. Mit Palliative- Care, oder kurz PC, ist die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit einer lebensbedrohlichen, nicht mehr heilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankung gemeint. Dabei ist für das Wohlergehen der Todkranken essentiell, die Angehörigen in alle Palliativ-Care-Prozesse einzubeziehen. Cicely Saunders Total-Pain-Konzept beschreibt die Leidenssymptomatik von Palliativpatienten als eine Mischung physischer, psychosozialer, emotionaler und spiritueller Prozesse, die untrennbar zum individuellen Schmerzerleben beitragen.
Um Menschen in palliativen Situationen angemessen zu begleiten, genügen nicht allein Arzneimittel und medizinischen Therapien. Dazu braucht es viel mehr als einen einzigen Therapeuten. Seit der Gründung des ersten Hospizes im Jahre 1967 in London hat sich in Sachen Palliative Care viel getan. In Deutschland wurden die ersten Palliativstationen vor circa 40 Jahren eingerichtet, um schwer Erkrankten ein Sterben in Würde zu ermöglichen.
In Deutschland ereignen sich die Hälfte der jährlich rund 600.000 Todesfälle in Krankenhäusern und circa 20% in stationären Pflegeeinrichtungen. Nur etwa 25% aller Patientinnen und Patienten versterben zu Hause im Kreise ihrer Nächsten. Diese Tatsachen wiedersprechen den tatsächlichen Bedürfnissen vieler Menschen: Umfragen zu Folge möchten 80% am liebsten zu Hause im vertrauten Kreis versterben.
Patientenversorgung: „better together“
Seit 2009 ist die spezialisierte, ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV) als gesetzlicher Anspruch für alle Krankenversicherten im fünften Sozialgesetzbuch verankert. Schwer Erkrankte haben die Möglichkeit, auch im familiären Umfeld zulasten der Krankenkasse versorgt zu werden. Diese Errungenschaft sowie das 2015 verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung” bildeten Meilensteine für die ambulante Palliativ-Versorgung in Deutschland.
Die allgemeine, ambulante Palliativ- Versorgung wird regelhaft von Allgemeinmedizinern oder Internisten im Rahmen der hausärztlichen Versorgung erbracht. Sie richtet sich an Sterbende ohne außergewöhnliche Erfordernisse. Palliativ-Patienten mit speziellen und ausufernden Krankheitsbildern und hohem pflegerischen, medizinischen oder psychosozialen Versorgungsbedarf benötigen eine anspruchsvolle Koordinierung spezialisierter Kräfte. Diese können in die SAPV aufgenommen werden. Nur durch abgestimmtes Zusammenarbeiten in interdisziplinären Teams kann man diese anspruchsvolle Versorgung leisten. Im Gesetzestext werden deshalb für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung explizit Netzwerkarbeit und ein Spezialistenstatus aller Beteiligten gefordert.
Notwendige Kooperationspartner sind bei der SAPV Apotheken, für die besondere Anforderungen gelten: zum Beispiel wird gefordert, dass sich mindestens ein Mitarbeiter spezialisiert hat, z.B. durch die Weiterbildung in Onkologischer-, Geriatrischer oder Allgemein- Pharmazie. Darüber hinaus wird eine Notfallbevorratung mit wichtigen palliativ- medizinischen Arzneimitteln (Betäubungsmittel, Infusionslösungen) und Hilfsmitteln verlangt.
Bei der SAPV spielen zum Beispiel elektronische Infusionspumpen für die Patientengesteuerte Analgesie eine wichtige Rolle. Die kooperierenden Apotheken sind in der Regel die Eigentümer dieser Infusionspumpen und für den Verleih, die hygienische Aufbereitung, Wartung, Abfüllung und Dokumentation verantwortlich. Durch die Apotheke werden die Fachkräfte des SAPV-Teams für den richtigen Umgang mit den Pumpen geschult. Eine SAPV-Apotheke sollte über ein Sterillabor für die aseptische Herstellung von Infusionsbeuteln verfügen, die als Individualrezeptur verordnet werden (z. B. Morphin-, Hydromorphon-, Midazolam- HCl in isotoner Kochsalzlösung).
Allein dieser knappe und unvollständige Überblick über die Aufgaben einer öffentlichen Apotheke als Teil eines SAPV-Netzwerks verdeutlicht, wie anspruchsvoll das Anforderungsprofil an Palliativ- Pharmazeuten ist. Wir Apothekerinnen und Apotheker sind in den Strukturen SAPV- Netzwerkarbeit gleichermaßen als Fachleute und Ansprechpartner auf Augenhöhe gefordert.
Um flexibel kommunizieren und dokumentieren zu können, nutzen wir die Software PalliDoc, die sich in der ambulanten sowie in der stationären Palliativversorgung etabliert hat. Sowohl das engere Palliative-Care-Team als auch weitere Kooperationspartner sind mit unterschiedlichen Zugriffsrechten eingebunden. Für unterwegs, z. B. bei Hausbesuchen, nutzen wir die Software auf dem Tablet. Mit gutem Wifi können unkompliziert medizinisch- pflegerische Entscheidungen getroffen, weitergeleitet oder delegiert werden.
“Not written, not done”: auch in palliativen Netzwerken ist ein Qualitätsmanagement obligat. Jede Handlung muss nachvollziehbar und transparent dokumentiert werden. Die Software erleichtert uns diesen Schritt. Zeitraubende und ineffektive Telefonate zwischen einzelnen Team- Mitgliedern können reduziert werden.
Kommunikation ist alles
Auch wenn wesentliche Abstimmungsprozesse und Entscheidungen digital getroffen und kommuniziert werden können, ist der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch, sind Gespräche bei Team-Meetings, Warenlieferungen – und einfach mal so zwischendurch – das Wichtigste. Besonders am Anfang, in der Aufbau- Phase eines SAPV müssen alle Beteiligten vertraut miteinander werden. Neben der Sachebene, also neben Fachkompetenz, Qualität und Logistik ticken und kommunizieren alle mitarbeitenden Personen anders. Die oft belächelten Soft- Skills, wie professionell und empathisch kommunizieren zu können, sind die eigentliche harte Währung bei der interprofessionellen Zusammenarbeit. Genau das macht Spaß, fordert heraus und motiviert. Netzwerkarbeit ist was für Kommunikations-Fachkräfte!