„Sehen wir uns vor dem Labor noch auf der Demo?“
Das Pharmaziestudium ist rappelvoll und nicht jede:r hat die Nerven, sich parallel dazu für das Klima zu engagieren. Trotzdem machen viele Pharmaziestudierende bei „Fridays for Future“-Demonstrationen mit, organisieren sich in fachspezifischen Gruppierungen oder ändern alltägliche Dinge, um zukunftsverträglicher zu leben. Denn angehende Apotheker:innen haben Spezialwissen, die dem Planeten nochmal von Nutzen sein könnte.
Schüler:innen und Studierende. Kinder, Eltern und Großeltern. Erfahrene Demonstrierende und Menschen, die zum ersten Mal für ihre Werte auf die Straße gehen. Mittendrin trifft sich eine Gruppe von Pharmaziestudierenden mit ihrem Mittagessen. Zwischen den Vorlesungen am Vormittag und dem Laborpraktikum am Nachmittag ist die Zeit knapp, aber das hält sie nicht davon ab, für ihre Meinung einzustehen.
Forderungen, für die es sich lohnt, dafür öffentlich einzustehen, sind in den letzten Jahren mehr in den gesellschaftlichen Blick gerückt. Menschen demonstrieren für mehr Menschenrechte in der Migrationspolitik, Queer-Feminismus, Tierrechte oder für Klimapolitik. Besonders die „Fridays for Future“-Bewegung brachte das Thema Klimapolitik wieder mehr in den gesellschaftlichen Fokus.
Anfangs mobilisierten sich vor allem Schüler:innen, inzwischen gehen (Groß-)Eltern, Wissenschaftler:innen, Lehrer:innen, Studierende und viele mehr auf die Straße. Neben den bekannten Freitags-Demonstrationen gibt es viele Protestformen: Aktivist:innen von „Extinction Rebellion“ blockieren beispielsweise stark befahrene Straßen und machen auf diese Weise auf die Klimakrise und den dringenden Handlungsbedarf aufmerksam.
Klima-Bewegung in allen Bereichen
Durch die „Fridays for Future“-Bewegung haben sich zahlreiche weitere Gruppen gebildet: Von „Parents“, „Nerds“, „Designers“ oder „Christians for Future“ ist nahezu jede Bevölkerungsgruppe vertreten. Alle vereint dieselbe Forderung an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Die Vertragsparteien sollen die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten und zusätzlich die globale Erwärmung auf mindestens 1,5 °C begrenzen. Jede einzelne Gruppierung ergänzt diese Ziele durch angepasste Forderungen, die sich auf ihre eigenen Aktionsbereiche beziehen.
Dabei richtet die Bewegung ihre Forderungen nicht nur an Personen in Machtpositionen, sondern an jede einzelne Person. Genauso wie wir alle mit unserem „ökologischen Fußabdruck“ negative Spuren auf unserem Planeten hinterlassen, können wir durch Engagement und durch kleine Veränderungen andere Menschen in unserem Umfeld sensibilisieren.
Dieser sogenannte „Handabdruck“ wurde von der indischen Organisation CEE als Konzept positiven Handelns ins Leben gerufen und beschreibt den Prozess, wie wir unser Umfeld zum Nachdenken über mehr Nachhaltigkeit im eigenen Leben beeinflussen können. Er lässt sich beispielsweise vergrößern, indem wir bei Diskussionen über die Klimakrise nicht weghören, sondern aktiv mitreden und Fake-News keine Chance geben oder indem wir Nachhaltigkeit in unserem Alltag aktiv mitdenken.
Wichtig ist, sich hierbei nicht nur auf Aspekte des Umweltschutzes zu beschränken, sondern Nachhaltigkeit ganzheitlich zu betrachten. Denn Nachhaltigkeit besteht nicht nur aus ökologischen Aspekten, sondern ist ein Zusammenspiel zwischen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen. Nur wenn alle drei Bereiche zusammen gedacht werden und der Prozess immer wieder reflektiert wird, kann eine tatsächliche Transformation zu einer sozial gerechten Welt mit intakten Ökosystemen gelingen.
Beginnen kann diese Überlegung mit Fragen, die sich dir vielleicht im Studium stellen: „Kann ich mein nächstes Referat über ein Thema zur Nachhaltigkeit halten oder zumindest einen Bezug dazu herstellen? Wieso erzählen Dozierende in der Vorlesung nichts zu den Auswirkungen von Arzneistoffen in der Umwelt und wen kann ich an meiner Universität darauf ansprechen? Könnten Lebensstiländerungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermeiden, wodurch weniger Arzneimittel verbraucht werden würden? Könnten wir dadurch die Umwelt entlasten?“
Kleine Schritte im Alltag
Über alltägliche Fragen wie: „Muss ich die Übungsaufgaben ausdrucken oder kann ich sie auch digital bearbeiten?“ gelangst du zu den Optionen, die du in deinem eigenen Leben hast. Im Privaten kannst du dieser Überlegung weitere folgen lassen: Die Frage nach dem nächsten Urlaub und ob du wirklich fliegen musst, bis zu täglichen Konsum-Entscheidungen.
Ganz wichtig ist, die eigenen Kraftreserven und die eigene Gesundheit nicht außer Acht zu lassen. Auch wenn dich das Supermarkt-Regal mit hunderten Plastikverpackungen zur Verzweiflung bringt, ist es in Ordnung, sich Ausnahmen zu erlauben. Jede Entscheidung, die du überlegt und nachhaltig triffst, ist ein kleiner Erfolg. Je mehr Menschen Stück für Stück ihren Konsum verändern, desto besser. Mit diesen drei Konsumentscheidungen kannst du schon viel ändern:
- Konsum hinterfragen und Alternativen nutzen
- auf Flugreisen (vor allem innerhalb Deutschland/Europas) verzichten
- Planetary Health Diet: möglichst wenige tierische Produkte, möglichst regional, saisonal und unverpackt
Neben dem eigenen Konsum kann jede Person noch weitere Dinge für mehr Nachhaltigkeit unternehmen: Ob du wählen gehst, dich informierst oder dein Umfeld zwischendrin für das Thema sensibilisierst – es gibt viele Möglichkeiten. Wenn diese dein Bedürfnis nach Veränderung noch nicht stillen, gibt es speziell für Pharmaziestudierende weitere Möglichkeiten sich zu engagieren und somit den eigenen „Handabdruck“ zu verändern.
Viele steigen über die Fachschaften in politische Themen ein. Dort kommen engagierte Studierende zusammen und diskutieren in den Sitzungen an deinem Studienstandort. Gleichzeitig beraten sie deutschlandweit über den Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) auf Bundesverbandstagungen oder in Arbeitsgruppen über vielfältige Themen. Seit der BPhD Anfang 2021 die AG Umwelt und Klima gründete, spielt auch Nachhaltigkeit eine größere Rolle.
Wer eher Kontakt zu Menschen in der eigenen Stadt aufnehmen möchte, kann in einer der inzwischen über 60 Ortsgruppen von „Health for Future“ aktiv werden. Die Untergruppierung der „For Future“-Bewegung ist ein Zusammenschluss von Menschen aus dem Gesundheitssektor, die das Vertrauen der Gesellschaft in ihre Berufsgruppe nutzen, um auf Gesundheitsprobleme und Risiken aufmerksam zu machen, die durch die Klimakrise verursacht werden. Viele der Aktivist:innen kommen aus der Humanmedizin, aber auch Pharmazeut:innen haben dort ihren Platz. Sie demonstrieren gemeinsam, organisieren Workshops, bringen Nachhaltigkeit ins Bewusstsein der Dozierenden an den Universitäten und vieles mehr.
Ich würde ja gern – aber wann denn?
Warum sollte ich mir neben dem schon zeitintensiven Pharmaziestudium die Freizeit nehmen und mich engagieren? Zwar sind Pharmazeut:innen im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen eine kleinere Gruppe, doch durch unseren Einblick in die verschiedenen pharmazeutischen Disziplinen sind wir eine wichtige Schnittstelle.
Wir können uns beruflich in viele Richtungen orientieren und als Multiplikator:innen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in viele Bereiche tragen. Unser Blick auf Arzneimittel darf sich dabei nicht nur auf die Synthese, Analytik und Wirkung im Körper der Patient:innen beschränken, sondern muss sich auch auf den Verbleib der Arzneistoffe und deren Abbauprodukte in der Umwelt ausweiten.
Um dazu in der Lage zu sein, müssen Pharmaziestudierende bereits in der Ausbildung mit der Nachhaltigkeit konfrontiert werden und überlegen, wie diese in die Praxis einziehen kann. Nachhaltige Pharmazie als Disziplin ist erst in der Entstehungsphase, Angebote an den Universitäten sind dazu nur vereinzelt zu finden. Die meisten Angebote sind freiwillige Zusatzveranstaltungen für eine geringe Zahl Studierender und für diese teils schwer in den Studienalltag zu integrieren.
Für Studierende, die sich ihr Studium durch einen Nebenjob oder über BAföG (mit-)finanzieren müssen, ist es fast unmöglich, zusätzliche Veranstaltungen neben dem restlichen Studium zu besuchen. Daher ist es umso wichtiger, es zum Ziel der pharmazeutischen Lehre zu machen, an der Uni und den PTA-Schulen, genauso wie in der Fort- und Weiterbildung, Aspekte der Nachhaltigkeit zu verankern.
Speziell für Pharmazeut:innen
Mit pharmazeutischen Aspekten der Nachhaltigkeit beschäftigt sich die Gruppe „Pharmacists for Future“. Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) gründete die Gruppe Anfang 2020. Ebenso wie „Health for Future“ sind auch die „Pharmacists for Future“ Mitglied der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Ihr Ziel ist es, dazu beizutragen, dass die Auswirkungen von Arzneimitteln in ihren gesamten Entwicklungs- und Lebenszyklen auf Mensch und Umwelt identifiziert, evaluiert und der Umgang optimiert wird.
Die Pharmacists for Future wollen die Fachöffentlichkeit auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz aufmerksam machen. Sie wollen die Aspekte in die pharmazeutische Aus- und Fortbildung integrieren und Möglichkeiten einer nachhaltigen Apotheke aufzeigen. Seit Anfang 2021 treffen sie sich jeden ersten Dienstag im Monat digital, tauschen sich über neue Projekte aus und erarbeiten in Arbeitsgruppen eigene Themen. Sehen wir uns am ersten Dienstag nächsten Monat? Oder nächsten Freitag auf der Demo?
Weiße Baumwollkittel ziehen über die Straße
In weißen Kitteln ziehen sie zusammen mit Tausenden weiteren Demonstrierenden über die Straßen ihrer Stadt. Viele Pharmazeut:innen haben heute nicht nur Transparente und Schilder mitgebracht, sondern auch ihre Kittel. So zeigen sie, welche Berufung sie vertreten. Die Zeit zum nächsten Praktikumsversuch drängt, doch in ihren Gesichtern zeichnet sich Entschlossenheit ab. Es ist die Stärke werdender Apotheker:innen, die wissen, dass sie etwas bewirken.